Am 10. März 2020 hat der Agrarökologe Antônio Andrioli im Pfarrsaal St. Bernhard einen spannenden Vortrag zu den Themen Gentechnik, Agrargifte & Freihandelsabkommen gehalten. Glücklicherweise konnte der von EineWelt-, Naturschutz- und Bauernorganisationen getragene Abend gerade noch vor dem allgemeinen Veranstaltungsstopp stattfinden.
Der seit 2009 in Südbrasilien an einer „Bauernuniversität“ lehrende Professor promovierte im Jahre 2006 in Osnabrück über die Auswirkungen von Gensoja in seiner Heimat. Für seinen unermüdlichen Einsatz für eine gentechnik- und pestizidfreie nachhaltige bäuerliche Landwirtschaft war er im Januar vom Bund Naturschutz mit dem Bayerischen Naturschutzpreis 2020 ausgezeichnet worden. Er hielt sich gerade für einen kurzen Forschungsaufenthalt am Rachel Carson Institut der LMU in München auf.
Auswirkungen von Agro-Gentechnik in Brasilien
In seinem Vortrag schilderte Andrioli zunächst anhand vieler Fakten die üblen Auswirkungen der in Brasilien vorherrschenden industriellen Agro-Gentechnik. Anstelle von Lebens-mitteln für die dort lebenden Menschen wird vor allem Soja für Tierfutter und Zuckerrohr für Bio-Ethanol angebaut und exportiert. Den Kleinbauern nimmt man das Land, eine Minderheit wird unter sklavenähnlichen Bedingungen auf den Plantagen beschäftigt.
Traditionelle Lebensmittel wie Schwarzbohnen müssen importiert werden. In der neuen rechtsradikalen Regierung von Präsident Bolsonaro sorgen Großgrundbesitzer erst recht für ihre Interessen. Die enorme Ausweitung von gentechnisch verändertem Soja auf mehr als die Hälfte aller Ackerflächen macht Brasilien zum Weltmeister im Pestizideinsatz. Der Chemie-Riese Bayer darf dort neben Glyphosat Pestizide verkaufen, die in der EU verboten sind. Jährlich werden in Brasilien mehr als 6.000 Fälle von Pestizidvergiftungen gemeldet, Tendenz steigend. Ein verbindliches Lieferkettengesetz würde deutsche Unternehmen verpflichten, Umwelt- und Sozialstandards gemäß der UN-Leitlinien für Wirtschaft und Menschenrechte einzuhalten.
Gefährliches Freihandelsabkommen zwischen EU und den Mercosur-Staaten
Andrioli warnte eindringlich vor der Ratifizierung des gerade jetzt ausgehandelten Freihandelsabkommen zwischen EU und den Mercosur-Staaten. Es zementiert und setzt seiner Ansicht nach nur fort, was heute schon kritisiert wird: Monokulturen, großflächige Abholzung des fürs globale Klima so wichtigen Regenwaldes, Naturzerstörung, Vertreibung indigener Völker, hoher Pestizideinsatz und den Energieverbrauch durch den weltweiten Transport.
Durch Schlupflöcher in der Gesetzgebung wird es möglich, Nahrungsmittel mit unzulässig chemischen Rückständen in die EU einzuführen. Autos und Industriegüter aus Deutschland gegen billiges Fleisch, Ethanol und Soja zu tauschen, schade den Bauern sowohl hier wie dort. Die EU importiere so Umweltzerstörung und exportiere Arbeitslosigkeit.
Wie bäuerliche Landwirtschaft gelingen kann
Wie die Erzeugung hochwertiger Lebensmittel durch bäuerliche Landwirtschaft gelingen könnte, erläuterte Antônio abschließend an der von ihm mitgegründeten Federal University of Fronteira Sul UFFS. Mit ihren sechs Standorten über eine Fläche verteilt so groß wie die Bundesrepublik Deutschland wurden innerhalb von 10 Jahren und unter Einsatz von nur ca. 80 Mio. Euro für mehr als 10.000 Studenten u.a. 44 Studiengänge zur „Agrarökologie“ ermöglicht. Besondere Beachtung finden der Erhalt von Artenvielfalt im Saatgut und von Bodenfruchtbarkeit, erneuerbare Energien, ländliche Bildung, Solidarwirtschaft. Die Universität wird von zahlreichen Studenten aus der kleinbäuerlichen und indigenen Bevölkerung besucht, in ihren Gebäuden finden Bauernmärkte statt, die Kantinen kaufen bevorzugt regionale Produkte.
Doch die Regierung von Bolsonaro hat auch hier eingegriffen. 80 % der Forschungsgelder wurden gestrichen. Sein Amt als gewählter Rektor hat Antonio im Sommer 2019 verloren, gestützt auf ein Gesetz aus Zeiten der Militärdiktatur. Obwohl er nach seiner Rückkehr nach Brasilien weiterhin Diffamierungen und Bedrohungen ausgesetzt sein dürfte, will er sich weiterhin mutig für den Fortbestand der engen Verknüpfung von Wissenschaft mit der praktischen Erfahrung der Bauern einsetzen und hofft dabei auf die weitere Solidarität in Europa mit dem Einsatz für eine globale Agrarökologie.
Autor: Dr. Walter Ulbrich, Campo Limpo e.V. und Nord-Süd-Forum Fürstenfeldbruck